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Kai-Holger Brassel
Autor und Software-Entwickler

Habe ich schon erwähnt, dass ich gerne Zusammenhänge herstelle? Normalerweise ist damit die Fähigkeit gemeint, verborgene Verbindungen und Muster zu erkennen, meist mit dem Ziel, die Welt um einen herum besser zu verstehen. Man kann Zusammenhänge aber nicht nur im, sondern auch außerhalb des Kopfes herstellen, etwa indem man Lego-BausteineIn meinem Fall waren es eigentlich Fischertechnik-Bausteine, mit denen man auch viel interessantere Sachen bauen konnte als mit den vergleichsweise langweiligen Legos. Aber wie so oft hat sich das Profane durchgesetzt, und die meisten kennen heute nur noch die dänische Marke. zu einem Modell zusammenbaut, Menschen in einer Gruppe zusammenbringt oder Worte zu einem Text verbindet. Die spannende Frage lautet dann, ob das Zusammengebrachte funktioniert, Spaß macht, Sinn ergibt.

Das wunderbare Gefühl, wenn es innerhalb oder außerhalb des Kopfes Klick macht, weil Dinge unvermutet zusammenpassen oder Prozesse plötzlich ins Laufen kommen, hat mich immer angetriebenÜbrigens auch beim Fußball, wenn der Ball plötzlich, so sagt man, wie von selbst läuft.. Es ist der Grund, warum ich mir komplizierte Musikstücke immer wieder anhöre, wochenlang über einer Software-Architektur brüte, oder einen Text Mal ums Mal umbaue.

Ich weiß nicht mehr genau, in welchem Alter ich als Teenager John Brunners Stand on Zanzibar (deutsch Morgenwelt) zum ersten Mal las. Aber in dem Moment, in dem Brunner das besondere Talent seines Protagonisten Donald Hogan beschrieb, wollte ich werden, was dieser war: ein Synthesist.

There was one talent Donald Hogan did possess which the majority of the people didn’t: the gift of making right guesses. Some mechanism on the back of his mind seemed ceaselessly to be shifting around factors from the surrounding world, hunting for patterns in them, and when such a pattern arose a silent bell would ring inside his skull.
[… Hogan:] »You’re talking about synthesis, aren’t you?«
»Yes, I’m from the Dilettante Dept—or more officially, from the Office of Research Co-ordination. […] I’ve seen the graphs of your scholastic career, and I get the impression that you could make yourself into a synthesist if you wanted to badly enough, with or without a doctorate.« Dr. Fodan leant back in her chair.  […]
Five mornings a week nothing but read, under no compulsion to produce any kind of results—merely requested to mention by mail any association or connection he spottet which he had reason to believe might prove helpful to somebody: advice an astronomer that a market research organisation had a new statistical sampling technique, for instance, or suggest that an entomologist be informed about a new air-pollution problem.

(John Brunner: Stand on Zanzibar, 1968, pp. 49. Siehe auch Synthesist und SFE: Brunner, John)

In diesem Sinne soll dies hier ein synthesistischer Blog werden. Er erlaubt mir, wild »in der Gegend herum zu lesen« und Sachverhalte in Verbindung zu bringen, auch – oder gerade weil – ich deren Details nicht völlig durchdrungen habe. Ein guter Schuss Halbwissen oder gar Dilettantismus ist hier eher förderlich.

ZETTELApropos Halbwissen: Solches hat in einer Doktorarbeit, die ja ein spezielles Thema bis zum Grund erforscht, nichts zu suchen. Angesichts mehrerer, von mir verschlissener Doktorväter und -mütter, bekommt with or without a doctorate in obigem Zitat für mich eine besondere Bedeutung, aber das ist eine andere Geschichte. Ein Hinweis auf meine früheren akademischen Ambitionen sei dennoch erlaubt. Das Titelbild dieses Beitrages entstammt meiner Diplom-Arbeit ZETTEL – ein flexibles Informationssystem zur Unterstützung kreativer Denktätigkeiten. Als sie entstand, waren sogenannte Hypertext- und Hypermediasysteme ein interessanter Forschungszweig. Es wurde untersucht, ob Wissen nicht besser durch ein Netzwerk von Assoziationen zwischen Texten, Daten, Bildern etc. in einem Computer abgebildet werden könne, als durch die lineare Präsentation in Büchern. Das war genau mein Ding: der Bau einer Software zum Herstellen von Zusammenhängen.

Während ich von 1990 bis 1992 an ZETTEL arbeitete, dachte ein gewisser Tim Berners-Lee etwas größer. Er fragte sich, wie man Informationen verbinden könnte, die sich auf vielen, miteinander vernetzten Computern befinden. 1991 erblickte das World Wide Web das Licht der Welt und änderte so ziemlich alles (https://de.wikipedia.org/wiki/World_Wide_Web). Damit erklärt sich auch, warum die ersten beiden Buchstaben in HTTPS und HTML für das Wort Hypertext stehen, und warum ich die Querverbindungen in diesem Blog und anderswo als Verweise zwischen HTML-Dokumenten ausdrücke, statt als mehrstellige typisierte Assoziationen eines ZETTEL-Nachfolgers.

Ist wahrscheinlich besser so.

Zur Veranschaulichung noch ein letzter solcher Verweis, hinein in das Reich der Musik. So wie man Musiker, die das Spiel auf dem Piano beherrschen, Pianisten nennt, so werden Musiker, die vor allem Synthesizer einsetzen, gelegentlich als Synthesisten bezeichnet (Synthesist | Electronic Music Wiki | Fandom). So selten das Wort Synthesist gebraucht wird – es muss sich als Homonym auch noch zwei verschiedene Bedeutungen teilen. Ich wäre eines Tages gerne Synthesist in beiden Bedeutungen des Wortes. Die Beschäftigung mit Synthesizern steht deshalb ziemlich weit oben auf meiner Projektliste. Vielleicht gelingt mir ja, bei allem unvermeidbaren Dilettantismus, einige überraschende Querverbindungen zwischen Tonerzeugung, Programmierung und wissenschaftlichen Erkenntnissen herzustellen?