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Kai-Holger Brassel
Autor und Software-Entwickler

Habe ich schon erwähnt, dass mich die Klimakrise schon seit den 90er-Jahren umtreibt? In jüngster Zeit hat sich auch die populäre Literatur dieses Themas angenommen und ein neues Genre namens Climate Fiction (Cli-Fi) etabliert. Hier möchte ich meine Eindrücke von einem der bekannteren Werke in diesem Bereich teilen, Kim Stanley Robinsons »The Ministry for the Future« (Ich beziehe mich dabei auf die englische Originalversion. Die deutsche Übersetzung habe ich angelesen, fand sie allerdings wenig gelungen.) Wenn Sie das Buchs noch nicht gelesen haben, seien Sie gewarnt: SPOILER-ALARM!

Es gibt wahrscheinlich zwei Dinge, an die ich mich in den kommenden Jahren aus diesem Buch erinnern werde: das erste Kapitel mit seiner beeindruckenden, grausam genauen Beschreibung von Menschen, die in Massen sterben, einfach und unvermeidlich aus physikalischen Gründen während einer Hitzewelle. Und zweitens: die schiere Anzahl nebeneinander gestellter Ideen zum möglichen Umgang mit der Klimakrise, von Geldpolitik und neuer Landwirtschaft bis hin zu Genossenschaften, Geo-Engineering, neuen Transportmitteln, sozialen Innovationen und so weiter.

Einige bemerkenswerte Inhalte des Romans

Gegenüberstellung sterbender Menschen auf der »Mikroebene« in Kap. 1 mit den trockenen Gesetzestexten, die sich damit in Kap. 3 auf der »Makroebene« beschäftigen. Diese Spannung zwischen Mikro- und Makroebene verkörpern auch die Protagonisten Frank und Mary.

Kap. 32: Wichtige Diskussion über konstante vs. nicht konstante Abzinsungssätze, wobei nur letztere die Bedeutung von heutigen Maßnahmen in ferner Zukunft berücksichtigen können.

Kap. 40: Unterscheidung zwischen guten und schlechten (In-)Effizienzen. Wann ist die Natur effizient und wann nicht?

Kap. 42: Neues Investitionsschema »CO2-Quantitative Easing«. Märkte vs. Computerplanung mit Anspielungen auf Francis Spuffords Red Blende aus dem Jahr 2010, das, wie Ministry for the Future und der erste Teil von All An!, versucht, Fiktion mit Sachliteratur zu verbinden.

Kap. 46: Die Marktwirtschaft als ein gewachsener Organismus im wahrsten Sinne des Wortes. Eine andere Lebensform. Ähnlich die »lebendige« Beschreibung des Lebens eines Photons in Kap. 53.

Kap. 51: Luftschiffe ersetzen Flugzeuge, da Geschwindigkeit bei guter Planung keine Rolle mehr spielt.

Kap. 60: Ein außergewöhnlich langes Kapitel in der Mitte des Buches, das den sozialen und politischen Wendepunkt beschreibt, der zu einer Revolution der wirtschaftlichen und politischen Zustände auf der ganzen Welt führt.

Kap. 69: Neue, nicht zu verteidigende Drohnen, wodurch es keine sicheren Orte mehr gibt und alle Menschen und Mächte gleich werden.

Kap. 85: Beeindruckende Liste lokaler Naturschutz-/Landwirtschafts-/Renaturierungsinitiativen.

Was mir nicht gefallen hat

Kap. 11: Viel zu weite Definition von »Ideologie«, was daraus einen leeren Begriff macht.

Kap. 90: Robinson beschreibt Technologie als neutral und nicht als Treiber des Wandels. Nur soziale Entwicklung bringt seiner Meinung nach echten gesellschaftlichen Wandel hervor. Allerdings geht er auch davon aus, dass es eine Koevolution zwischen Mensch und Technik gibt. Vielleicht ist komplexes Systemdenken nicht für Revolutionen zu gebrauchen?

Für so ein dickes Buch ist die Handlung meiner Meinung nach recht dürftig: Der Klimawandel führt zu einem Massensterben; das Ministerium für die Zukunft wird gegründet, um im Namen künftiger Generationen zu handeln; Es wird schnell schlimmer, es muss mehr getan werden; Die Vereinten Nationen, Nationen, Einzelpersonen, Terrorgruppen und Geheimabteilungen beginnen an allen Fronten zu kämpfen. Schlechte Menschen sterben, gute Menschen sterben; Mary wird kurz darauf von Frank entführt, um mehr zu tun; Sie wird auch von Konservativen angegriffen und muss sich verstecken. Nach dem COP-Treffen in Zürich ist der Kampf um das Klima im Wesentlichen gewonnen (obwohl nukleare und andere Bedrohungen bestehen bleiben) und Mary geht in den Ruhestand. Frank kämpft mit seinem Trauma und stirbt schließlich an Hirnkrebs; Mary reist mit dem Luftschiff um die Welt, um zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln; Sie erlaubt sich, Gefühle für den Luftschiffkapitän zu entwickeln.

Je länger die Geschichte dauerte, desto schwerer fiel es mir, die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten. Viel Material wird »irgendwie« eingebaut, meist in Form von kurzen »enzyklopädischen« Abschnittem im Präsens, abwechselnd mit dem Fortgang der Handlung im Präteritum. Diese wird entweder von Mary oder Frank oder einem anderen Ich oder Wir erzählt, die nicht explizit eingeführt werden, z. B. Flüchtlinge. Auch die ausführlichen Beschreibungen der Alpen und Zürichs kommen mir vor, wie Material, das unbedingt noch irgendwo eingebaut werden sollte (der Autor lebte in den 80er-Jahren zwei Jahre in Zürich). Ein weiteres Beispiel dafür ist eine Diskussion um Hongkong, die in Kap. 101, fast am Ende des Buches, aus dem Nichts geführt wird.

Beim Weiterlesen wartete ich also gewissermaßen auf das Ende der Geschichte, das irgendwie nicht kommen wollte, bis ich den allerletzten Satz des Buches las: »Weil wir nie wirklich am Ende ankommen.« Okay, dachte ich: so ein Klugscheißer.

Vergleich mit All An!

Der erste Teil meines Romans All An! – Umschwung kann als Klimafiktion gelesen werden. Tatsächlich gibt es viele Parallelen zu All an!, aber natürlich auch wichtige Unterschiede.

Ich habe diese Ähnlichkeiten gefunden:

  • Eine große Katastrophe gibt den entscheidenden Anstoß zum Wandel
  • Die Realisierung von Edward O. Wilsons »Habitat Corridors“ ähnelt dem, was die »Natürlichen« in meinem Buch tun (jedoch ohne Autobahnen und Eisenbahnen zu erhalten)
  • Zahlreiche Tagungen und Konferenzen machen die »Aktion« aus
  • Luftschiffe und Seereisen ersetzen das Flugzeug.

Hier sind einige Unterschiede:

  • Robinson schreibt etwa 550 Seiten, gegenüber den 210 Seiten meiner Geschichte
  • Sein Buch beginnt in unseren Tagen, meines im Jahr 2086
  • Robinson sieht Nationen und die UN immer noch als wichtige Treiber des Wandels, während in meiner Darstellung die Nationen verfallen und schließlich durch mehrere tausend Regionen ersetzt werden sowie die UN schließlich durch eine Vereinigte Menschheit. Robinson widmet viele Diskussionen Problemen, die die Nationen haben
  • Robinson nutzt Zentralbanken und eine App für ein neues soziales Netzwerk, kombiniert mit Kryptos, als Mittel zur »magischen« Problemlösung, während in meinem Roman KIs und modellbasiertes Systemdenken und Planung diese Rolle übernehmen
  • In Robinsons Vision bedrohen Atomwaffen immer noch die Welt, während sie in meiner als Teil der Lösung verschwunden sind.
Zum Schluss noch ein interessanter zwanzigminütiger Vortrag des Autors aus dem Jahr 2023: Kim Stanley Robinson - What I’ve Learned since The Ministry for the Future Came Out in 2020.